Ich sitze mit Freunden im Lokal und trinke ein Glas Rotwein zum gemütlichen Plausch. Wir amüsieren uns blendend, lachen viel und freuen uns, dass wir es endlich geschafft haben, einen Termin zu finden, an dem alle können.
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Es gibt nur einen kleinen Wermutstropfen: am Nebentisch sitzt ein jungdynamischer Erfolgstyp, der offensichtlich sich, seiner blonden Begleiterin und dem Rest der Welt beweisen muss, dass er ein gaaanz toller Typ ist. Er redet grundsätzlich mit erhobener Stimme über Trades und Options (???), brüllt dauernd in sein Handy und hat sich schon mindestens drei Mal bei der Kellnerin darüber beschwert, dass die Brotkrümel so asymmetrisch seien oder über ähnlichen Unsinn.
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Die Kellnerin kann sich – verständlicherweise – nur noch mit Mühe zu einem freundlichen Gesicht zwingen. Als er sie das vierte Mal quer durch das Lokal anschreit, funkelt es in ihren Augen und sie bekommt diesen gewissen Terminator-Blick. Sie greift entschlossen zu einem Tablett mit zwei Gläsern Rotwein, schreitet auf den Tisch mit dem Profilneurotiker zu und gerät kurz davor ins Stolpern. Beide Gläser ergießen sich (Mission erfüllt!) über den Profilneurotiker und seine Begleiterin.
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Den sich dann bietenden Anblick kann ich nur mitleidig als jämmerlich bezeichnen. Der gaaanz tolle Typ hat den berühmten Schaum vor dem Mund und äußert sich in solchen Ausdrücken, dass meine Mutter mir den Mund mit Seife ausgewaschen hätte, hätte ich sie jemals benutzt (natürlich nicht wirklich, sie ist eine tolle Frau!).
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Das ganze so mühselig und lautstark demonstrierte Selbstbewusstsein war von ein wenig Rotwein hinweg gespült worden, und zurück bleibt ein tobendes Kleinkind im schicken Anzug mit Dreitagebart, das mit einer schwierigen Situation in keiner Weise umgehen kann und völlig überfordert ist. (Ich gestehe hiermit freimütig, dass mich für eine Millisekunde ein Anflug von Schadenfreude streift…)
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Seine bisher jedoch so stille Begleiterin demonstriert durch ihre Gelassenheit echtes Selbstbewusstsein. Lächelnd nimmt sie von der Kellnerin ein paar Servietten zum Abtupfen entgegen, versichert ihr, dass so ein kleines Malheur jedem passieren könne, und weist ihren Begleiter energisch an, sich auf der Toilette ein wenig frisch zu machen. Er trottet auch – zwar immer noch schimpfend – brav davon. Ihre Bluse sieht aus, als ob sie gerade angeschossen worden wäre, das blonde Haar hat definitiv einen leichten Rotstich, und doch beherrscht sie durch ihre gelassene Reaktion souverän die chaotische Situation.
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Würde ich ihre Seite auf Facebook kennen, so würde ich mich sofort als Fan eintragen!
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